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Dokumentarfilm »We Were Rebels«

»Der Südsudan kann zur Kornkammer Afrikas werden«

Feature

Der Dokumentarfilm »We Were Rebels« erzählt die Geschichte eines früheren Kindersoldaten, der nun seinen Staat, den Südsudan, mit aufbauen will. Eine bewegende Nahaufnahme einer Staatsgründung mit Hindernissen.

Die Kalaschnikow wirkt klein in den riesigen Händen von Agel Ring Machar. Der Südsudanese war der erste Kapitän der Basketball-Nationalmannschaft seines jungen Landes. Ein vor Kraft strotzender Zweimetermann. Und dann sagt er: »Das Gewehr war mir zu schwer. Wenn ich stand, hat mir das Gewicht des Laufs immer den Arm heruntergezogen. Ich musste mich hinhocken und den Griff auf den Knien abstützen.« Was für eine Szene, was für ein bemerkenswerter Film! »We were Rebels« (Perfect Shot Films, 2014) erzählt die Geschichte von Agel, der als Kind von der südsudanesischen Befreiungsarmee zum Soldaten ausgebildet wurde und heute mithilft, sein Land aufzubauen.

 

Die schillernde Kraft des Protagonisten und die kluge Regie von Katharina von Schröder und Florian Schewe machen den Film zu einem zeithistorischen Dokument: Wie ein Staat entsteht, was dabei falsch laufen kann und warum man trotzdem nicht aufgeben darf. Die Szene mit der Kalaschnikow steht zwar am Anfang des Films, aber nicht in seinem Mittelpunkt. Auch im Gespräch mit zenith will Agel Ring Machar lieber über andere Dinge reden. Ja, natürlich blieben das Trauma und die Narben aus seiner Zeit als Kindersoldat, aber wichtiger sei doch die Zukunft des Südsudan.

 

Es wird bald wieder eine Regierung geben, an der sowohl Präsident Salva Kiir als auch sein Rivale Riek Machar beteiligt sein werden, davon ist der 34-Jährige überzeugt: »Aber dann müssen beide abtreten. Sie sind über 60, haben vierzig Jahre lang zerstört und sabotiert, sind in den Krieg gezogen. Und plötzlich sollen sie Friedensstifter mit diplomatischem Geschick und ökonomischem Know-How sein? Nein, das ist die Aufgabe der neuen Generation.«

 

Agel war sieben Jahre alt, als er mit seiner Familie nach Äthiopien flüchtete. Dort wurde er zum Soldaten. Wenige Jahre später zog er in den Kampf. Nach Jahren im Exil in Australien kehrte er zur Gründung des Südsudan zurück nach Juba. Er führte die Basketballspieler des Landes ins erste Länderspiel gegen Uganda, gründete eine Hilfsorganisation, die in abgelegenen Regionen Brunnen baut und meldete sich zur Armee zurück als Ende 2013 der Machtkampf zwischen Präsident Salva Kiir und seinem Rivalen Riek Machar kriegerisch ausgetragen wurde. 

 

 

Der Film macht die Gemengelage im Südsudan auch für Laien verständlich

 

Die Dokumentarfilmer Katharina von Schröder und Florian Schewe haben Agel über einen Zeitraum von zwei Jahren insgesamt fünf Monate lang begleitet – sie sind dabei, als Agel und ein Kollege von seiner Hilfsorganisation mit dem Jeep auf einer Schlaglochpiste im Matsch stecken bleiben, sie erleben, wie seine Tochter mit Malaria im Krankenhaus behandelt werden muss und sie nehmen daran teil, wie Agel die Unabhängigkeit des Südsudan von der Regierung in Khartum am 9. Juli 2011 feiert.

 

Die Nähe zum Protagonisten ist für den Film in mehrfacher Hinsicht ein Glücksfall: Es gelingt, die verworrene Gemengelage im Südsudan auch für Laien verständlich darzustellen, ohne dabei auf vereinfachende Klischees oder Schlagworte zurückzugreifen. In seinem ereignisreichen Leben scheint Agel zudem die Erfahrungen einer ganzen Generation in sich zu vereinen. Und dann ist da noch seine Ausstrahlung – und sein Humor: In der Kalaschnikow-Szene amüsiert er sich darüber, dass es ausgerechnet ein arabischer Führer war, der die Rebellen im Süden als erster mit Waffen für den Kampf gegen Khartum beliefert hat, nämlich Muammar Gaddafi.  

 

»Die Alternative zum Aufgeben heißt Weitermachen«

 

»Ich kann mich an keine Situation erinnern, in der Agel seinen Humor verloren hätte«, sagt Katharina von Schröder im Gespräch mit zenith. »Er hat so viel Schlimmes erlebt in seiner Kindheit, so viele Menschen sterben sehen, irgendwann realisierte er, dass die einzige Alternative zum Aufgeben Weitermachen ist – und das macht er mit ganzer Kraft.« Doch Agel betont im Gespräch immer wieder, dass seine Geschichte nichts Besonderes sei. Jeder seiner Generation habe Ähnliches erlebt – da zeigt sich wieder der Politiker in ihm.

 
Ein Mann, der sein Charisma durchaus einschätzen kann: »Ich bin ein Anführer. Ich bin der Jüngste in der Familie, aber ich wollte immer vorangehen. Als ich Australien verlassen wollte, haben viele gesagt ›Nein, hier ist es sicher‹, auch meine Mutter. Aber als ich gegangen bin, sind mir viele gefolgt – und die machen jetzt großartige Dinge im Südsudan.« Agel bezeichnet sich selbst als zivilgesellschaftlichen Aktivist – und als Stimme seiner Generation. Aktuell will er nicht in die Regierung in Juba eintreten, aber in Zukunft könne er sich das durchaus vorstellen.
 

Und auch die gegenwärtigen Konflikte im jüngsten Staat der Erde können Agels Optimismus nicht schmälern: »Mit der richtigen Führung kann Südsudan zur Kornkammer Afrikas werden, mit all dem Land und all den Rohstoffen. Ich bin sehr zuversichtlich. Die Menschen im Südsudan sind etwas Besonderes, sie können das schaffen!«

 

Der Film »We Were Rebels« wird am 14. Juli um 0.10 Uhr im ZDF ausgestrahlt und ist bereits ab dem 9. Juli in der Mediathek des Senders abrufbar.

 

We Were Rebels

Regie: Katharina von Schröder, Florian Schewe

Mit: Agel Ring Machar 

Produktion: Perfect Shot Films, Deutschland, 2014

Originalfassung: Englisch, Arabisch

Von: 
Moritz Behrendt

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