Weniger spektakulär als China, aber durchaus erfolgreich investiert Brasilien seit einigen Jahren in Afrika. Und anders als im Fall des asiatischen Konkurrenten regt sich dagegen nur wenig Kritik. Aber was machen die Brasilianer anders?
Luanda im Juli: Der brasilianische Pavillon auf der Internationalen Messe in der angolanischen Hauptstadt lockt mit seiner jährlich wachsenden Zahl an Ständen angolanische Besucher an. Lebensmittel, Haushaltsgeräte und Busse der Marke Marcopolo werden angepriesen, dazu wird Caipirinha gereicht. Samba-Rhythmen bringen die Gäste in Stimmung.
»Es sollen alle Sinne angesprochen werden, wir Brasilianer wollen ein Lebensgefühl vermitteln«, sagt Pedro Monteiro von der brasilianischen Exportfördergesellschaft Apex-Brasil. Das kommt gut an, denn Brasilianer und Afrikaner haben enge historische und kulturelle Bindungen. Durch den jahrhundertelangen Sklavenhandel ist Brasilien mit rund 90 Millionen Schwarzen heute das Land mit der zweitgrößten afrikanischstämmigen Bevölkerung nach Nigeria.
Diese enge Beziehung hatte sich Brasiliens voriger Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva gezielt zunutze gemacht. Während seiner Regierungszeit von 2003 bis 2010 wurde Afrika zum Pionierland, zur großen Herausforderung für Brasilien, wie es der Historiker Jerry Dávila von der Universität Illinois kürzlich ausdrückte. Traditionell pflegt Brasilien enge Beziehungen zu den portugiesischsprachigen Ländern Afrikas, die häufig unter dem Kürzel PALOP (»Países Africanos de Língua Oficial Portuguesa«) zusammengefasst werden: Angola, Mosambik, Kap Verde, São Tomé und Príncipe sowie Guinea-Bissau.
Aufgrund der sprachlichen und historischen Gemeinsamkeiten sind diese Beziehungen vor allem kultureller Art. 1996 gründeten diese Länder gemeinsam mit Portugal, Brasilien und Osttimor die »Gemeinschaft portugiesischsprachiger Staaten« (CPLP), die besonders bildungs- und kulturpolitische Initiativen fördert.
Der Schwerpunkt der Beziehungen liegt auf Angola
An den PALOP-Ländern Angola und Mosambik hat Brasilien indes auch starkes wirtschaftliches Interesse. Von vier Milliarden Dollar im Jahr 2000 ist das brasilianisch-afrikanische Handelsvolumen bis zum vergangenen Jahr auf fast 28 Milliarden Dollar gestiegen. Zwar verfolge das lateinamerikanische Land keine explizite Rohstoffstrategie, sagt Christina Stolte vom »German Institute for Global and Area Studies« (GIGA).
Dennoch bestehen die brasilianischen Importe aus Afrika zu über 80 Prozent aus fossilen Rohstoffen. Die Regionalmächte Nigeria und Südafrika sind deshalb für Brasilien aufgrund ihres Ressourcenreichtums seit Jahrzehnten von zentraler Bedeutung. Doch für Brasilien gehe es heute vor allem um die Diversifizierung seiner Exportmärkte, argumentiert Stolte. Schon deshalb konzentriere sich die brasilianische Afrikapolitik heute nicht mehr nur auf wenige Schlüsselpartner.
Besonders erfolgreich agieren in Afrika Brasiliens große Konzerne aus dem Infrastrukturbereich wie Odebrecht, Camargo Corrêa und Queiroz Galvão, aber auch Rohstoffkonzerne wie Vale und Petrobras. Brasilianische Firmen sind in vielen Ländern an großen staatlichen Infrastrukturprojekten vom Straßen- und Eisenbahnbau über Wasserkraftwerke bis zum Bau neuer Flug- und Seehäfen beteiligt.
Petrobras weitet die Ölförderung im Golf von Guinea aus. Vale hat seit 2006 fast zwei Milliarden Dollar in die Förderung von Steinkohle in Mosambik investiert. Der Bushersteller Marcopolo eröffnete im Jahr 2000 eine Fabrik in Südafrika, um den afrikanischen Markt mit seinen Fahrzeugen zu versorgen. Der Schwerpunkt der Beziehungen liegt jedoch eindeutig auf Angola.
Der Staat im Südwesten Afrikas ist für Brasilien mittlerweile wirtschaftlich bedeutsamer als Nachbarländer wie Peru oder Ecuador. Mehr als 100 brasilianische Unternehmen sind im Land aktiv, aber es finden sich auch brasilianische Supermärkte, Boutiquen, Restaurants und Buchhandlungen. Insgesamt leben mehr als 25.000 Brasilianer in Angola. Telenovelas aus dem lateinamerikanischen Land locken auch die angolanische Jugend täglich vor den Fernseher und bringen damit das brasilianische Lebensgefühl ins heimische Wohnzimmer.
Globale Ambitionen – und innenpolitisches Kalkül?
Der größte private Arbeitgeber in Angola ist ebenfalls brasilianisch: Der Baukonzern Odebrecht, dessen Wurzeln auf einen deutschen Einwanderer aus Vorpommern zurückreichen, beschäftigte zeitweise mehr als 25.000 Angolaner. Anhaltende Zahlungsrückstände der angolanischen Regierung infolge des Ölpreisverfalls Ende 2008 führten allerdings zu einer sichtbaren Reduzierung der Geschäftsaktivitäten und einem Stellenabbau auf heute noch 13.000 Mitarbeiter im Land.
Der Baukonzern beschäftigt in Afrika ebenso wie andere brasilianische Firmen fast nur einheimische Arbeiter. Dies funktioniere hervorragend, berichtet Pedro Paulo Tosca, der als Odebrecht-Projektmanager in Liberia den Wiederaufbau einer 240 Kilometer langen Eisenbahnstrecke koordiniert hat. Man habe viel in die Schulung der Arbeiter investieren müssen.
Aber letztlich sei das »viel günstiger und zeitsparender gewesen, als Baumaschinen ins Land zu holen«, denn den Großteil der Arbeit habe man mit lokalen Arbeitskräften erledigen können. Auch wenn die Bezahlung nicht hoch sei: Die Arbeiter seien froh, überhaupt Geld zu verdienen und gut behandelt zu werden, unterstreicht einer der Vorsteher eines Dorfes an der Bahnstrecke.
Ein brasilianischer Diplomat in Westafrika argumentiert, mit der historisch-kulturellen Verwandtschaft habe sein Land einen Vorteil gegenüber anderen ausländischen Wirtschaftsmächten: »Brasilianer werden in den afrikanischen Ländern willkommen geheißen. Wir waren auch eine Kolonie; die Menschen sehen uns als gleichwertig an und denken nicht, wir kommen als Kolonisatoren.«
Lula da Silva leitete als Präsident auch eine moralische Verpflichtung gegenüber den afrikanischen Ländern aus diesen Bindungen ab: Seine expansive Afrikapolitik sei nicht zuletzt innenpolitisch motiviert gewesen und habe auch darauf abgezielt, die Wählerstimmen der schwarzen Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen, sagt Gerhard Seibert vom »Zentrum für Afrikastudien« an der Universität Lissabon.
Doch auch außenpolitisch hofft das aufstrebende Schwellenland, von den verstärkten Beziehungen mit afrikanischen Ländern zu profitieren. Als sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt hegt Brasilien globale Ambitionen, etwa auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Allein 24 afrikanische Länder besuchte Lula in seiner Regierungszeit.
Seit seinem Amtsantritt stieg die Zahl afrikanischer Botschaften in Brasilien von 16 auf 25 und die der brasilianischen Vertretungen in Afrika von 20 auf 37. Deren Hauptaufgabe ist es mittlerweile, die wirtschaftlichen Interessen brasilianischer Unternehmen zu vertreten. Dennoch tritt Brasilien dabei weniger aggressiv auf als China – schon weil es sich keine so massive finanzielle Unterstützung seiner Firmen leisten kann wie das asiatische Riesenreich.
Brasilien ist in Afrika Vorreiter bei der Produktion von Bioethanol
Zum Beispiel in Gabun: 2005 wurde der Bergbaukonzern Vale dort beauftragt, die Möglichkeit zur Erschließung der Eisenerzvorkommen Belinga zu untersuchen. Noch vor Fertigstellung der Machbarkeitsstudie traf das chinesische Joint Venture CMEC in Gabun ein – im Gepäck Pläne für den Bau eines Staudamms, einer Eisenbahnstrecke und eines Tiefseehafens als Gegenleistung für den Zuschlag bei der Explorationslizenz. Den Auftrag zur Eisenerzförderung erhielt schließlich CMEC.
Nachdem sich der Bau jedoch als komplizierter als erwartet herausstellte, die Staudammpläne wegen des Standorts an einem naturgeschützten Wasserfall einen Skandal provozierten und die Weltmarktpreise für Eisenerz stark fielen, wurde das komplette Projekt auf Eis gelegt. Der heutige gabunische Präsident Ali Bongo soll nun wieder Gespräche unter anderem mit den Brasilianern führen. Auch seine Entwicklungshilfe in Afrika baut Brasilien seit einigen Jahren stetig aus.
Die Beträge seien allerdings eher symbolisch und dienten vor allem dazu, den Anspruch der aufstrebenden Wirtschaftsmacht zu unterstreichen, monieren Kritiker. Insgesamt wandte Brasilien dafür vergangenes Jahr 65 Millionen Dollar auf, verteilt auf mehr als 300 Projekte in 37 Ländern; mehr als 50 Prozent des Geldes flossen in die PALOP-Länder. Das Hauptaugenmerk dieser Entwicklungshilfe liegt neben Bildung und Gesundheitsversorgung auf der Landwirtschaft.
Als einer der treibenden Sektoren der brasilianischen Wirtschaft hat sie in den vergangenen Jahren zum wirtschaftlichen Aufschwung des Landes sichtbar beigetragen. Afrikanische Länder könnten aufgrund der ähnlichen klimatischen Bedingungen also durchaus von einem Knowhow-Transfer profitieren. Zu den großen Initiativen gehört das »Cotton-4«-Projekt, das erfolgreich die Baumwollproduktion in Benin, Burkina Faso, Tschad und Mali fördert.
Doch während Brasilien jährlich nur rund 17 Millionen Dollar in Agrarprojekte in Afrika investiert, hat China 2009 allein eine Milliarde Dollar für den Wiederaufbau der angolanischen Landwirtschaft zugesagt. Vorreiter in Afrika ist Brasilien indes bei der Produktion von Bioethanol. Das 2008 gegründete brasilianisch-angolanische Joint Venture Biocom baut für diesen Zweck Zuckerrohr an, aus dem bald 20 Millionen Liter des Biosprits pro Jahr hergestellt werden können. Anfang des Jahres hat auch ein japanisches Unternehmen Investitionspläne für die Ethanolherstellung in Angola vorgelegt.
Betreibt auch Brasilien Exportdumping?
Der Vorsprung der Brasilianer liegt jedoch auf der Hand: Die jungen angolanischen Techniker erhalten einen Teil ihrer Ausbildung direkt in Brasilien. »Durch den Sprachvorteil und die kulturelle Nähe lernen unsere Mitarbeiter viel schneller und effizienter«, sagt Carlos de Almeida, der landwirtschaftliche Direktor von Biocom. Malawi importierte schon 2007 die ersten in Brasilien hergestellten ethanolbetriebenen Fahrzeuge, sogenannte Fuel-Flex-Autos, um den Betrieb mit heimischem Ethanol zu testen.
Die Steigerung der Ethanol-Produktion auf heute 18 Millionen Liter in dem kleinen afrikanischen Land wurde von Brasilien stark gefördert. Dass jährlich vor der Ernte für einen Großteil der Malawier die Nahrungsmittel knapp werden, wurde beim Ausbau der Zuckerrohrplantagen allerdings nicht berücksichtigt. Überhaupt steht in der Realität nicht unbedingt die moralische Verpflichtung gegenüber Afrika an vorderster Stelle, sondern meist der eigene wirtschaftliche Vorteil.
Den sahen vor wenigen Monaten etwa brasilianische Hähnchenproduzenten in Gefahr und beschwerten sich deshalb bei der Welthandelsorganisation über die Sonderimportzölle von bis zu 63 Prozent, die Südafrika seit einiger Zeit auf ihre Ware aufschlägt. Lokale Produzenten in Südafrika werfen den Südamerikanern Dumping vor, weil diese als weltgrößter Geflügelproduzent ihre Waren in großen Mengen zu Niedrigpreisen exportieren.
Letztlich verfolgt Brasilien also – durchaus vergleichbar mit China – eindeutig wirtschaftliche und politische Ziele mit seiner Afrikapolitik. Doch unter dem Strich profitieren davon meist auch die afrikanischen Partner: Beim Hähnchenstreit etwa sind es die Endverbraucher, denn mit der günstigen Ware aus Brasilien bestreitet Südafrika drei Viertel seiner Geflügelimporte.