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Biografie von Avi Primor

Früchte eines Lebens

Feature

Brüssel, Bonn, Bamako, Beirut – nur vier von vielen Stationen im Leben des Avi Primor. Der Diplomat, Brückenbauer und Israel-Erklärer der Deutschen hat nun seine Biographie vorgelegt. Ein spannendes Stück Zeitgeschichte.

Spötter und politische Rivalen nannten Helmut Kohl früher »Birne«. Das klingt nicht nach einem, dessen Körpergröße 1,93 Meter misst und der zu Kanzlerzeiten vermutlich die Drei-Zentner-Marke stets umkreist hat. Auf den jungen Benjamin Netanjahu hat das Oggersheimer Polit-Schwergewicht zweifellos einen Eindruck gemacht, der nicht mit süßem Kernobstgewächs in Verbindung steht. Als Kohl in den 1990er-Jahren nach Israel reist, ist Avi Primor Israels Botschafter im wiedervereinigten Deutschland.

 

Er begleitet den Oppositionspolitiker Netanjahu zur Hotelsuite, soll aber nicht an dem Gespräch teilnehmen; Netanjahu glaubt, ein Regierungsbeamter, der Primor seinerzeit war, und der Oppositionsführer sollten nicht gemeinsam mit Kohl reden – das passe nicht zueinander. Einzig: »Der massive Kohl öffnet die Tür persönlich. Als Netanjahu den riesigen Kohl vor sich stehen sah, packte er mich am Arm und flüsterte mir auf Hebräisch zu: Doch, komm mit, komm mit.« So jedenfalls erinnert sich Avi Primor in seiner nun erschienen Biographie.

 

Es sind viele Erinnerungen jener Art, mit denen der Ex-Diplomat aufwartet – auch, wie Kohl Jizchak Rabin Weiß- und Rotwein in Bonn anbietet, der jedoch um ein Bier bittet und Kohl fragt: »Kennen Sie Weizenbier« Rabin verneint – und trinkt schließlich drei. Kohlsche Gast- und Gaumenfreuden.

 

Der König von Tonga spricht Jiddisch

 

Avi Primor, so scheint es, hat ein Diplomaten-Dasein geführt, das fast romanhaft anmutet. Der 1935 in Tel Aviv geborene Sohn eines aus Holland stammenden Diamantenexperten und einer deutschstämmigen Mutter geht in Israel sowie den USA zur Schule und studiert Wirtschaft, Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der Hebräischen Universität Jerusalem, bevor er in den diplomatischen Dienst eintritt.

 

Dort sammelt er zunächst Lehrjahre im heimischen Apparat – unter anderem in der Waffenstillstandsabteilung (!) – und dient schließlich unter Jigal Allon, Jizchak Rabin, Mosche Dajan, Schimon Peres, Ariel Scharon, Golda Meir – das Who is Who der israelischen Politelite der vergangenen Jahrzehnte.

 

Er vertritt Israel weltweit, zunächst in Bamako in Mali, wo er Claus von Amsberg kennenlernt, dessen Eltern vor dem Ersten Weltkrieg ein Landgut in Tanganjika besessen hatten – und der in Holland zum Königingemahl werden sollte. Es folgen Stationen in Benin und an der Elfenbeinküste, in Liberia und der Zentralafrikanischen Republik, er reist getarnt zu Verhandlungen mit Rebellen im Tschad, trifft Mobuto Sese Seko von Zaire und lernt den (heutigen) König von Tonga kennen, der in New York Jiddisch gelernt hat.

 

In geheimer Mission nach Beirut

 

In jenen Jahrzehnten als israelischer Diplomat heiratet er, bekommt zwei Kinder, die Frau verstirbt an Krebs, er heiratet erneut, bekommt einen weiteren Sohn, arbeitet schließlich in der Pariser Botschaft, als Botschafter in Brüssel und kurzzeitig auch als Vize-Präsident seiner Alma Mater in Jerusalem. Angesichts dieses Lebens passt es, dass Avi Primor sich als junger Mann für den Namen Avi Primor entschieden hat.

 

Denn: Geboren wurde er als Avraham Aharon Halpern – aus Avraham wurde Avi und der Nachname Primor ist frei gewählt, setzt sich zusammen aus »Mor«, einer biblischen Pflanze, die heute nicht mehr existiert, und »Pri«, dem hebräischen Wort für Frucht. Es sind dies wahrlich die auf Papier gebrachten Früchte seines Lebens. Avi Primor ist in Deutschland wohlbekannt. Gerade deshalb bereiten die ausführlichen Kapitel über jene Jahre fernab von Westeuropa solch große Lesefreude.

 

Es wird deutlich, dass Primor, der in Mannheim Deutsch gelernt hat und kein Muttersprachler ist, kein monothematischer Mensch ist. So erfährt man etwa, dass er Ende der 1970er-Jahre kurze Zeit beim Mossad gearbeitet, die politischen Beziehungen zu den Maroniten gepflegt und selbige oft in Beirut und Junieh in geheimer Mission besucht hat – inmitten des Bürgerkrieges.

 

Gleichwohl: Die israelisch-palästinensischen Streitfragen spielen auch in diesem Buch eine wichtige Rolle. »Nichts ist jemals vollendet«, hat Avi Primor, der Israel-Erklärer der Deutschen, seine luzide geschriebene Biographie genannt. Ein treffender Titel für einen, der bald 80 Jahre alt wird, in diesen acht Jahrzehnten viel erlebt und noch weiter gereist ist, aber noch kein bisschen altersmüde scheint.

 


Nichts ist jemals vollendet. Die Autobiographie

Avi Primor

Quadriga Verlag, 2015

431 Seiten, 22,99 Euro

 
Von: 
Dominik Peters

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