Lesezeit: 7 Minuten
Bildband über die Banda-Inseln in Indonesien

Ein Fisch namens Banda

Feature

»Die Mitte der Welt« dokumentiert den Weg der indonesischen Banda-Inseln in die Globalisierung. Gerade die Fotos zeichnen ein nüchternes, aber detailreiches Bild – und entzaubern den mythischen Glanz des frühneuzeitlichen Handelszentrums.

»Thunfische, Makrelen und Papageienfische tummelten sich in den Riffen, und in den Wäldern, die von der Küste bis zu den Bergspitzen reichten, reiften Jackfrüchte und Kokosnüsse, Mangos und Rosenäpfel.« Zwischen all diesen Reichtümern fanden die Bandanesen, »was die ganze Welt begehrte: Zimt, Nelken und das seltenste aller Gewürze, den Muskat.«

 

Auf fabelhafte Weise führt einen das Buch »Die Mitte der Welt – eine Insel im Sog der Globalisierung« ein in die Geschichte rund um die Inselgruppe Banda im Osten Indonesiens. Inmitten des Molukken-Archipels zwischen Sulawesi und Papua erscheinen die Bandas auf der Landkarte als nur schwer zu erkennender Punkt. Es ist kaum vorstellbar, dass diese kleinen Inseln im Pazifik einst weltberühmt waren. Händler aus Java, China oder Arabien kamen nach Tanah Banda, um Muskat zu kaufen, der nur dort wuchs. In Europa verfeinerten Pfeffer, Nelken, Zimt und Muskat bereits im 15. Jahrhundert die Speisen der Reichen, die von der ursprünglichen Herkunft der Gewürze vermutlich nichts wussten. 

 

Die Gewürze gelangten über venezianische Händler aus Konstantinopel nach Europa, doch nachdem die Stadt von den Osmanen erobert wurde, versiegten die Handelsströme. So kam es, dass sich einige Abenteurer auf die Suche nach den Inseln begaben, auf denen die besonderen Gewürze wuchsen – unter ihnen Kolumbus, Vasco da Gama und Ferdinand Magellan. Anschaulich fasst das Buch die Geschichte Bandas zusammen und welch wirkungsvolle und für die Bandanesen gravierende Ereignisse eine so kleine braune Nuss in Gang setzte. »Zuerst kamen die Portugiesen – und sie kamen, anders als die javanischen, chinesischen und arabischen Händler, mit Kanonen.«

 

Um 1600 kämpften Portugiesen, Engländer und Holländer um die Gewürzinseln. Als den Holländern bis 1621 misslingt, ein Handelsmonopol für Muskat auf Banda durchzusetzen, entschieden sie sich für eine gewaltsame Lösung und massakrierten fast die gesamte Bevölkerung Bandas. Überlebende verkauften sie nach Java als Sklaven. Die Wälder rodeten sie, um Plantagenwirtschaft mit Muskat zu betreiben. »Banda, das Land des Muskats, war nun das Zentrum des niederländischen Kolonialreiches, die Mitte der Welt.« Sklaven aus anderen Bereichen des Kolonialgebiets bildeten später die neue Bevölkerung Bandas und machten die Insel zu einem kulturellen Schmelztiegel.

 

Als Muskat an Wert verlor, geriet der Archipel in Vergessenheit und hatte kaum noch Anschluss zur äußeren Welt. »Bis Ende der Achtzigerjahre gab es hier noch nicht einmal Strom, und wenn die Sonne im Meer versank, begannen die Kinder sich vor den Geistern zu fürchten, die in den dunklen Nächten um die Häuser schlichen.« In den vergangenen Jahrzehnten hat sich einiges getan. Die Tourismusbranche wächst, wenn auch langsam. Waren wie Fernseher, Kleidung, Spielzeug oder Möbel aus aller Welt finden ihren Weg nach Banda. Roller fegen um die Ecken und selbst ein paar Autos gibt es auf den kleinen Inseln, auch wenn diese ihren Zweck kaum erfüllen dürften. Der einst exotisch sagenumwobene Inselarchipel ist heute in den »Sog der Globalisierung« geraten und zeigt, so die Autoren, viele Gemeinsamkeiten mit dem Rest der Welt auf. 

 

Das Buch nimmt den Leser mit auf eine Entdeckungsreise nach Banda. Es macht uns bekannt mit dem Leben von Des Alwis, des 2010 verstorbenen informellen »Königs von Banda«. Dieser trug wesentlich dazu bei, dass sich die Inseln schneller entwickelten als andere entlegene und für die im fernen Jakarta ansässige Regierung unbedeutende Gebiete Indonesiens.

 

Essays über ökonomische, politische und gesellschaftliche Entwicklungen wechseln sich ab mit ausführlichen Portraits, in denen Bewohner zu Wort kommen, wie der erfolgreiche Geschäftsmann Abba, der unter anderem T-Shirts mit dem Spruch »A Fish called Banda« verkauft, in Anlehnung an den bekannten Kinofilm. Wer genug hat von romantisierender Exotik und nostalgischem Schwelgen in Erinnerungen, für den lohnt sich das Buch allemal. Besonders die Fotos geben die Umgebung und den Alltag auf nüchterne und realitätsnahe Weise wieder, sie zeichnen ein eher ruhiges Bild der Insel.

 

Hier und da ein Hinweis auf die Vergangenheit, wenige Portraits. Nur auf ein paar Bildern stehen die Menschen im Vordergrund. Gemeinsamkeiten mit einer belebten »globalisierten« Metropole sucht der Betrachter zunächst vergebens. Doch wer sich von diesem ersten Schein nicht blenden lässt, findet mit einem wachen Auge so manch Vertrautes: Zwischen Instantnudeln, indonesischen Nelkenzigaretten und Einmal-Shampoo-Tütchen stehen im Kiosk auch Coca-Cola und Nestlé-Produkte zum Verkauf. Vor einer Palmengruppe erstreckt sich ein Feld aus Solaranlagen, Männer in Hemd und Jeans gekleidet spielen Karten, Roller stehen an einer nächtlich beleuchteten Tankstelle.

 

Doch können solche Gemeinsamkeiten als Indizien für eine globalisierte Gesellschafft gewertet werden? Was genau ist »Globalisierung«? Welche weltweiten Prozesse werden mit diesem Begriff beschrieben? Welche konkreten Veränderungen vollziehen sich im Leben der Menschen? »Gleicht sich das Leben der Bewohner und Bewohnerinnen von Berlin und Sri Lanka, New York und Banda tatsächlich an?«

 

Antworten auf diese Fragen suchen die Autoren auf dem »kleinen und überschaubaren« Banda, das für den westlichen Besucher auf den ersten Blick exotisch und fremd wirkt. Kritisch werden globale Entwicklungen vor Ort beobachtet und ihre positiven wie negativen Auswirkungen beschrieben. Ehrliche Fotografien, anschauliche Essays und aufschlussreiche Portraits ergänzen sich gegenseitig, führen uns den Alltag der Bandanesen vor Augen und verraten ihre Träume, Wünsche, Ziele und Sorgen.

 

Im Fokus steht besonders die wachsende Mittelschicht – Unternehmer, Angestellte oder Lehrer – die zuallererst von globalen Dynamiken erfasst wird und oft eine Vorbildfunktion für die breite Unterschicht hat. »Die Mitte der Welt – eine Insel im Sog der Globalisierung« zeichnet ein beispielhaftes Bild des globalisierten Alltags und überrascht den Betrachter, der eine vertraute Welt im vermeintlich Exotisch-Fremden entdeckt. Eine winzige Insel inmitten des Pazifischen Ozeans führt uns das große Ganze vor Augen und wird so wieder zur »Mitte der Welt«.


Die Mitte der Welt

Eine Insel im Sog der Globalisierung

Kollektiv Lang+Breit

Rotpunktverlag, 2015

192 Seiten, 32,50 Euro

Von: 
Marisa Reichert

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.