Die bahrainische Aktivistin Maryam al-Khawaja über »digitale Waffen«, Ausfuhrkontrollen und effektive Maßnahmen gegen Lieferanten von Spionage-Software an repressive Regime.
zenith: Frau Khawaja, Sie führen derzeit eine Kampagne gegen Firmen, denen Sie vorwerfen, sie hätten den bahrainischen Behörden Spionage-Software geliefert. Gegen wen richtet sich Ihr Zorn?
Maryam al-Khawaja: Derzeit ermitteln wir gegen die deutsche Trovicor GmbH, die zu Siemens Nokia gehört. Wir haben Beweise dafür, dass Menschenrechtsaktivisten mit deren Software, so genannter Spyware, ausspioniert wurden. Danach haben die bahrainischen Sicherheitskräfte diese Menschen verhaftet und gefoltert. Die Organisation Bahrain Watch hat entsprechende Daten gesammelt. Zudem haben wir detaillierte Informationen über die Verwendung von Spyware der britischen Gamma International in Bahrain.
Wie haben Sie das herausgefunden?
Zahlreiche Aktivisten, darunter ich selbst, erhielten verdächtige E-Mails. In meinem Fall bekam ich von einem angeblichen Journalisten eine Mail mit einem Word-Dokument im Anhang. Ich wurde geben, das zu öffnen und den darin enthaltenen Artikel gegenzulesen. Ich hatte mit diesem Journalisten aber nicht gesprochen. Abgesehen davon ist das eine ungewöhnliche Verfahrensweise. Im Gegensatz zu anderen habe ich den Anhang gelöscht: Beim Gulf Center for Human Rights haben wir Schulungen in Internet-Sicherheit durchgeführt. Daher wissen wir, dass E-Mail-Anhänge Trojaner enthalten können. Die Organisation Bahrain Watch hat Internet-Spezialisten, die infizierte Computer untersuchen konnten.
Was sagt Gamma dazu?
Sie haben behauptet, die bahrainischen Behörden hätten womöglich eine Demo-Version des Programms benutzt; alles sei ohne Wissen der Firma erfolgt. Wir bezweifeln, dass Bahrain die Experten hat, um ausgerechnet einer Spezialfirma für Internet-Sicherheit Software zu entwenden. Denn sie konnten das Programm offenbar upgraden und Informationen von den ausspionierten Computern auf Server in Bahrain transferieren.
Maryam Abdulhadi al-Khawaja, 25,
ist Vizepräsidentin der Organisation »Bahrain Center for Human Rights«. Sie studierte englische Literatur und besitzt neben der bahrainischen auch die dänische Staatsbürgerschaft. Ihr Vater, der prominente bahrainisch-schiitische Aktivist Abdulhadi al-Khawaja verbüßt in Bahrain eine lebenslange Haft wegen angeblicher Gründung einer terroristischen Vereinigung.
Nein, wir brauchen ein sehr strenges Regelwerk für ihre Verwendung. Und wir wollen, dass Firmen zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie repressive Regime damit beliefern. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass Bahrains Behörden systematisch die Menschenrechte verletzen.
Wie wollen Sie das rechtlich durchsetzen? Letztendlich können die Firmen argumentieren, dass sie Regierungen beliefern, die in ihren jeweiligen Ländern ja gewissermaßen »legal« sind. Wollen Sie, dass die UNO eine schwarze Liste mit Ländern herausgibt, die keine Spyware bekommen dürfen?
Nein, wir wollen die konkreten Fälle offenlegen und erreichen, dass die Firmen zukünftig genau nachdenken, wen sie beliefern und wen nicht. In Ländern wie Bahrain oder Syrien ...
... oder Iran ...
... ja ebenso in Iran kann die Verwendung solcher Software den Tod von Menschen nach sich ziehen. Wir reden hier nicht nur über eine Verletzung der Privatsphäre.
»Panzer für Saudi-Arabien – das ist schon absurd genug!«
Sie bezeichnen Spyware als »digitale Rüstungsgüter«. In Deutschland genehmigen Rüstungskontrollbehörden und der Bundessicherheitsrat Waffenexporte. Soll dort demnächst über Spyware getagt werden?
Ich verlange ein internationales System, dem wir den Missbrauch solcher Software anzeigen und das veranlassen kann, dass Unternehmen in ihren Ländern zur Rechenschaft gezogen werden. Und zwar ein besseres System als das der bisherigen Rüstungsausfuhrkontrolle. Es ist doch absurd genug, dass Deutschland Panzer nach Saudi-Arabien liefert, wo systematisch gegen Menschenrechte verstoßen wird und das kein System der Rechenschaft kennt. Es ist zudem eine Brutstätte für Terroristen und es kann sein, dass die Panzer einmal in völlig andere Hände fallen. Das soll Europas Sicherheit befördern?
Gewiss denken Sie, sofern Sie wirklich stabile Beweise haben, darüber nach, Hersteller von Spyware zu verklagen. Wenn eine Firma etwa in den USA tätig sind, könnten Betroffene dort in einer Sammelklage einen erheblichen Schadenersatz erstreiten.
Wir sind noch nicht so weit und prüfen die rechtlichen Fragen. Aber es ist klar, dass wir die Lieferanten von Spyware an repressive Regime an zwei Stellen treffen können: dem Marken-Image und dem Portemonnaie.
»Wer solche Software nach Bahrain liefert, weiß, was damit geschieht«
Andererseits kann man einen Waffenhersteller ja nicht verklagen, wenn jemand mit einer Waffe aus dessen Produktion Amok läuft.
Wenn dieser Waffenhersteller weiß oder wissen müsste, dass der Kunde einen Amoklauf plant, schon. Wer repressive Regime am Golf mit Spyware beliefert, weiß, was damit geschieht. Oder müsste es zumindest wissen.
Nun argumentieren die Golfstaaten: Auch europäische Polizeibehörden nutzen Spyware, um verfassungsfeindliche Kräfte zu überwachen, die das System stürzen wollen. Genau das tue man auch.
Ich verteidige hier nicht die Überwachungspraktiken in der EU. Aber in Europa sind die Konsequenzen weder Tod oder Folter. Finden Sie nicht, dass das einen Unterschied macht?
In den Vereinigten Arabischen Emiraten werden Cyber-Aktivisten ja nicht umgebracht.
Nein, aber wir haben glaubwürdige Berichte über Folter auch von dort. Die Menschenrechtsbilanz der Staaten des Golfkooperationsrates (GCC) wird derzeit in der Tendenz nicht besser, sondern schlechter.
Finden Sie es in Ordnung, wenn die Golfstaaten Spyware benutzen, um Al-Qaida-Netzwerke oder Finanzkriminalität aufzuspüren?
Sofern dem ein strikt legales, gerichtlich instruiertes Verfahren zu Grunde liegt, das die Grundrechte der Betroffenen achtet, ist das okay.
Die Rechtsmentalität in den Golfstaaten basiert ja eher auf der Idee, dass der Staat den Bürger vor seinen eigenen Dummheiten und Leidenschaften schützen müsse. So blockt man bestimmte Web-Inhalte, die für schädlich befunden werden: zum Beispiel Sex-Seiten, oder was immer man dafür hält.
Es macht einen Unterschied, ob man das Betreiben einer Porno-Seite in einem Land strafrechtlich verfolgt, weil es nach dem Gesetz illegal ist, oder einfach Seiten blockiert. Bei dieser Praxis muss man fragen: Wo beginnt das und wo hört es auf? Diese Auseinandersetzung mit der Freiheit des Internets ist in den Golfstaaten kaum entwickelt.
Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer Meinung über Freiheit in den Golfstaaten für eine Mehrheit der Staatsbürger sprechen?
Sicher nicht. Die meisten denken, dass bei ihnen die Welt in Ordnung ist. Ich sage auch nicht, dass wir jetzt im GCC-Raum die großen Revolutionen erleben werden. Aber in meiner Generation stellen immer mehr Menschen die richtigen Fragen und streben nach Veränderung.