Für alle, die nach der Lektüre des Titel-Dossiers in der zenith 1/15 weiter in das Thema eintauchen möchten, hier ein Überblick über einige Neuerscheinungen zum Völkermord an den Armeniern und zur armenischen Geschichte.
Lange Zeit waren die Massaker an den Armeniern, die auf Anordnung des jungtürkischen Regimes während des Ersten Weltkriegs durchgeführt wurden, eine Angelegenheit für Akademiker und Spezialisten – sowie der armenischen Memoiren- und Trauerliteratur. Dies hat sich in den letzten Jahren geändert, und zum 100. Jahrestag des Beginns des Völkermords gibt es auch in Deutschland eine Reihe von Neuerscheinungen zu verzeichnen, neben einigen Aktualisierungen älterer Werke.
Nicht alle stellen den Völkermord ins Zentrum, aber kaum eines entkommt diesem Thema. Wer an einem nichtakademischen Überblickswerk interessiert ist, dürfte am ehesten zu »Tod in der Wüste« des Historikers Rolf Hosfeld greifen. Der Autor leitet das Lepsiushaus in Potsdam, das nach Johannes Lepsius benannt ist – dem deutschen Theologen, der 1896 das Armenische Hilfswerk gründete und später als einer der Ersten den Völkermord dokumentierte. »Es ist unsagbar, was geschehen ist, und noch geschieht.
Die vollkommene Ausrottung ist das Ziel – alles unter dem Schleier des Kriegsrechtes«, schrieb Lepsius im August 1915 aus Istanbul an seine Frau. In seiner 288 Seiten starken Gesamtdarstellung behandelt Hosfeld die Zeit zwischen Ende des 19. Jahrhunderts und etwa 1920, wobei er wechselnde Perspektiven wählt und auch die Forschungsliteratur aufarbeitet. In dem Völkermord sieht er vor allem ein bevölkerungspolitisches Entmischungsprogramm der Jungtürken; dem lag »ein Denken in machtpolitischen Abstraktionen zugrunde, das zwangsläufig zu einer Dehumanisierung der Weltbilder führen musste«.
Tod in der Wüste
Der Völkermord an den Armeniern
Rolf Hosfeld
C. H. Beck, 2015
288 Seiten, 24,95 Euro
Was bei Hosfeld als ein Thema unter vielen zur Sprache kommt, steht im Mittelpunkt des Buches »Beihilfe zum Völkermord« von Jürgen Gottschlich: die Rolle des Deutschen Reiches. Nicht viel mehr als ein Dutzend Männer seien es gewesen, die während des Ersten Weltkriegs die deutsche Türkeipolitik bestimmten, schreibt der in Istanbul lebende Journalist. S
ie hätten den geplanten Massenmord an den Armeniern durch ihre osmanischen Verbündeten geschehen lassen, ja in Teilen sogar gutgeheißen und unterstützt: »hart, aber nützlich« seien die Maßnahmen, schrieb damals etwa der deutsche Marineattaché Hans Humann. Diese Verstrickung, in Deutschland vielen noch immer nicht bewusst, beschreibt Gottschlich in einer Mischung aus Historienerzählung und Reportagereise, die dem Leser auch etwas über das Verhältnis der heutigen Türkei zu ihrer Geschichte vermittelt.
Beihilfe zum Völkermord
Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier
Jürgen Gottschlich
Ch. Links, 2015
344 Seiten, 19,90 Euro
Erinnerung, Aufarbeitung – und umgekehrt: Tabuisierung –, das sind auch bestimmende Themen der lesenswerten Anthologie »Wege ohne Heimkehr«, die von der Hamburger Turkologin Corry Guttstadt herausgegeben wurde. Sie versammelt zahlreiche Stimmen – von armenischen Schriftstellern und Journalisten, aber auch von Beobachtern des Völkermords.
Die Texte beschränken sich aber nicht auf die Zeit des Ersten Weltkriegs, sondern beziehen auch das Leben der Armenier im Osmanischen Reich Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ein; darunter sind höchst amüsante Texte wie der »Spaziergang durch die Stadtteile Istanbuls« des armenisch-osmanischen Satirikers Harop Baronyan von 1880, in dem er Seitenhiebe auf die armenische Gesellschaft verteilt, aber auch autobiographische Erinnerungen an das ländliche Leben. Andererseits wird auch das Nachwirken des Völkermords thematisiert – und das bis heute fortdauernde Trauma der Überlebenden deutlich.
Wege ohne Heimkehr
Die Armenier, der Erste Weltkrieg und die Folgen
hg. von Corry Guttstadt unter Mitarbeit von Seyda Demirdirek und Elke Hartmann
Verlag Assoziation A, 2014
204 Seiten, 19,80 Euro
Was bei »Wege ohne Heimkehr« anklingt, wird noch deutlicher zum Programm des Buchs »Ottoman Armenians, Vol. 1: Life, Culture, Society« von der Forschergruppe Houshamadyan (»Erinnerungsbuch«). Aufgrund politischer, aber auch wissenschaftlicher Hindernisse ist in der westlichen Forschung immer noch vergleichsweise wenig über das armenische Leben im Osmanischen Reich vor 1915 bekannt. (Siehe auch das Interview mit Elke Hartmann.)
Diese Kontextualisierung will Houshamadyan erreichen. Der Band versammelt Fotos von Alltagsdokumenten und familiärer Erinnerungsstücke wie Fotos, Stammbäume oder Schmuck; Aufsätze gehen mikrohistorisch auf einzelne Themen wie das Dorfleben ein. Eine ansprechend gestaltete Website versammelt weitere Dokumente und Bilder des Projekts, zu dessen Zielen gehört, eine gemeinsame türkisch-armenische Alltags-Erinnerungskultur zu fördern.
Ottoman Armenians
Life, Culture, Society
hg. von Vahé Tachjian
Verlag Houshamadyan, 2014
271 Seiten, 45 Euro
Einen gänzlich anderen Zugang wählt Gisela Ramming-Leupold in »Armenien – Land am Ararat«. Was auf den ersten Blick als historisches Überblickswerk daherkommt, entpuppt sich als biblisch inspirierter Streifzug durch die Geschichte und Kultur Armeniens – aus einer dezidiert christlichen, genauer gesagt: lutherischen Perspektive geschrieben.
Historische Akkuratesse darf man hier nicht erwarten; aber wer sich für die zahlreichen wunderschönen – und oft wunderschön gelegenen – Klöster Armeniens und ihre Geschichte interessiert, könnte auf seine Kosten kommen. Das Buch unterstreicht, was bisweilen in Vergessenheit gerät: dass das alte christliche Kulturland Armenien und seine Bewohner sich nicht auf die tragischsten Abschnitte ihrer Geschichte reduzieren lassen.
Armenien – Land am Ararat
Geschichte, Religion und Tradition
Gisela Ramming-Leupold
Mitteldeutscher Verlag, 2013
280 Seiten, 24,95 Euro