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Aschkenazim und Sephardim in Israel

Prinz Eins und Prinz Zwei

Portrait

David Lau und Jitzchak Josef werden in den kommenden zehn Jahren die religiösen Autoritäten für Aschkenazim und Sephardim in Israel sein – und treten damit in die Fußstapfen ihrer Väter.

Zugegeben, angesichts des Alters von David Lau, 47, und Jitzchak Josef, 61, von Prinzen zu reden, mag verwundern. Doch die Wahl der Beiden zu den neuen Oberrabbinern Israels kann getrost als Krönungszeremonie zweier Kronprinzen betrachtet werden – waren doch bereits ihre Väter, Ovadia Josef und Meir Lau, bereits Oberrabbiner gewesen.

 

Somit ist die Wahl ein Sieg zweier Rabbinerdynastien. Wer die Wahl der beiden ausschließlich unter religiösen Gesichtspunkten betrachtet und damit aus der Sphäre des Politischen verbannt, der irrt indes. Diese Wahlen waren hochpolitisch, auch wenn die weltliche Mehrheit der Israelis dem dreistündigen Urnengang im Jerusalemer Hotel Leonardo nahe dem Viertel Mea Schearim vor gut einer Woche keine Bedeutung zugemessen hat.

 

Sieg der Ultra-Orthodoxie über die National-Religiösen

 

Es ging um nicht weniger, als den Sieg im Kampf zwischen dem ultra-orthodoxen und dem national-religiösen Lager in Israel. Erstere waren mit ihren Parteien – der sephardischen »Schas« und der aschkenasischen »Vereinigtes Tora-Judentum« – jüngst nach Jahren der Regierungsbeteiligung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei der Koalitionsbildung nicht mehr berücksichtigt worden.

 

Stattdessen sitzt nun die national-religiöse »ha-Beit ha-Jehudi«-Partei von Polit-Shootingstar Naftali Bennett, seines Zeichens Minister für Industrie, Handel und Arbeit sowie Minister für Dienstleistungen zur Religionsausübung, auf den Entscheidungsposten – und der versucht den Einfluss der Strenggläubigen qua seines zweiten Amtes zurückzudrängen und ihnen ihre Pfründe streitig zu machen.

 

Reformen sind nicht in Sicht – aber dringend nötig

 

Seit 1911 existiert das Amt des Oberrabbinats zwischen Mittelmeer und Jordan. Die jeweiligen Amtsträger sind für die Verleihung von »Koscher-Zertifikaten« zuständig ebenso wie für Fragen des Ehe- und Scheidungsrechts, die Verwaltung von Synagogen und die Ernennung von Rabbinern. Für die Chassidim sind die obersten Repräsentanten dieser staatlichen Institution paradoxerweise aber keine geistige Autorität, bei ihnen dominiert weiterhin das Modell der Rabbinerhöfe, wie einst in Osteuropa; im Falle der Mizrachim bilden sich indes nationale Gruppen.

 

Und auch die »ha-Beit ha-Jehudi«-Partei deckt nicht, wie einstmals die »Mafdal«, das gesamte national-religiöse Spektrum ab. Kurzum: Beide Lager sind extrem zersplittert, rabbinische Autoritäten gibt es viele. Daher verwundert es nicht, dass die 80 wahlberechtigten Rabbiner und 70 Laien David Lau und Jitzchak Josef mit je 68 Stimmen gewählt haben. Sie waren die Kandidaten der Ultra-Orthodoxie, die im Wahlgremium die Mehrheit stellt, und standen halbwegs für Konsens.

 

Lau war zuvor Oberrabbiner in Modi'in gewesen, ist Vater von sieben Kindern und Reservemajor des Armeegeheimdienstes. Josef leitete bisher die Chason-Ovadia-Jeschiva, gehört zum Vertrautenkreis seines übermächtigen Vaters und ist daneben durch seine monatlich erscheinenden Schriften zur Halacha – »Jalkut Josef« bekannt. Beide sind bisher nicht als Reformer in Erscheinung getreten, was wohl mit ein Grund für ihre Wahl gewesen sein dürfte.

 

Erst Schlammschlacht – und dann?

 

Auf die Verliererplätze wurden indes Jaakov Schapira – Leiter der einflussreichen nationalreligiösen Merkaz-ha-Rav-Jeschiva, aus der die Gründungselite der Siedlerbewegung »Gusch Emunim« stammt – sowie David Stav verwiesen. Besonders er, der Vorsitzende der Organisation »Tzohar« ist, die das Judentum für alle Israelis zugänglicher machen will, war den Strenggläubigen ein Dorn im Auge. Er hatte nicht nur die Unterstützung von Naftali Bennett, sondern auch von Bildungsminister Schai Piron, der Parteigänger von Jair Lapids »Jesch Atid«-Partei ist.

 

Seine Version von einem Judentum des 21. Jahrhunderts brachte ihm heftige Attacken aus dem Lager der Ultra-Orthodoxie ein, unter anderem vom wenig zimperlichen Ovadia Josef. Der spiritus rector der »Schas« und nun Vater des neuen Oberrabbiners nannte Stav einen »bösartigen Mann«, der »Gott nicht fürchtet« – und sprach sich auch gegen Schmuel Elijahu aus, einen sephardischen Rabbiner aus Safed und direkten Konkurrenten seines Sohnes, der ebenfalls Kandidat der National-Religiösen gewesen war.

 

Auf den Punkt: Das Rennen um das Oberrabbinat glich einer Schlammschlacht. Dieses Mal haben die Strengreligiösen den Machtkampf für sich entschieden. Der Gang in die politische Opposition wurde für sie somit wenigstens halbwegs Vergessen gemacht. Doch in ihrer zehnjährigen Amtszeit müssen David Lau und Jitzchak Josef dringend Reformen anstoßen, etwa in Fragen des Ehe- und Scheidungsrechts oder der Wehrpflicht, um die national-religiösen Israelis zu besänftigen, ebenso wie die säkularen Israelis. Denn klar ist: Interim fiet aliquid.

Von: 
Dominik Peters

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