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Armee, Milizen und der Kampf gegen des IS im Irak

Der Preis der Milizen

Analyse

Vor einer Offensive gegen Mosul müssen irakische Truppen mehrere IS-Hochburgen am Euphrat einnehmen. Doch sowohl die Armeeführung unter Premier Abadi als auch schiitische Milizführer wollen als Bezwinger der Dschihadisten gesehen werden.

Geht es nach Haider Al-Abadi, soll sich diese Szene bald wiederholen: Am 8. April 2015 zog der irakische Premierminister und Oberbefehlshaber der Streitkräfte in der Stadt Tikrit ein, die seine Soldaten in den vorangegangenen Tagen aus den Händen des »Islamischen Staates« (IS) befreit hatten. Mit einer Ansprache machte Abadi klar, was der Erfolg bedeutete: Erstens, die irakische Armee als Hüter der staatlichen Ordnung sei nach ihren Niederlagen vom vergangenen Jahr wieder gestärkt und kampffähig.

 

Zweitens, auch Bewohner einer sunnitischen Stadt, wie Tikrit, könnten im sunnitisch-schiitischen Bürgerkrieg auf den Schutz ethnisch-neutraler Streitkräfte zählen. Nun ginge es darum, weitere sunnitische Städte von der IS-Terrorherrschaft zu befreien und die Einheit des Landes wiederherzustellen. Nach seiner Rede händigte der Premier, in einer starken Geste der Versöhnung, persönlich Waffen an sunnitische Rekruten aus, die sich dem Kampf gegen den IS anschließen wollten. Doch trotz der Aufbruchsstimmung, die Abadi verbreitete, musste sich der Premier herbe Kritik gefallen lassen.

 

Vor allem der radikale Flügel aus Abadis eigenem, schiitisch-religiösen Lager störte sich an seiner Kriegsführung, die auf amerikanische Luftunterstützung und sunnitische Hilfstruppen setzte. Prominente Milizführer, wie Hadi al-Ameri von der »Badr«-Organisation und Abu Mahdi al-Muhandis von »Kataib Hizbullah« klagten, medienwirksam unterstützt durch Abgeordnete um Ex-Regierungschef Nuri al-Maliki, dass Abadi ihre Kämpfer nicht nach Tikrit mitgenommen habe, obwohl sie doch zuvor unter Leitung des iranischen Generals Qasim Sulaimani  die Grundlagen für die Einnahme der Stadt gelegt hätten. Die schiitischen Paramilitärs, die im vergangenen Jahr gemeinsam als nationale Volksmiliz »Hashd« den Sturm des IS in Richtung Bagdad abgewehrt hatten, sahen sich um ihren Sieg gebracht.

 

An einer Würdigung der schiitischen Milizen zeigt Haider Al-Abadi aber nach wie vor kein Interesse. Denn der neue Oberbefehlshaber möchte die Rückeroberung des sunnitischen Nord- und Westirak nutzen, um die bereits vor Kriegsausbruch tief gespaltene Bevölkerung wieder zu versöhnen. Dies kann aber nur gelingen, wenn die sunnitischen Landesteile nicht von schiitischen Milizen unterworfen werden, die bereits jetzt im Ruf stehen, Kriegsverbrechen begangen zu haben.

 

Statt der gut ausgerüsteten und motivierten Hashd-Verbände soll die Armee, bestenfalls mit Unterstützung sunnitischer Stammesverbände, die IS-Terroristen verdrängen. So ist es aktuell das Militär, in das Haider Al-Abadi seine Hoffnung setzt, im Irak doch noch eine ethnisch-neutrale Staatsmacht aufzubauen, in der Schiiten, Sunniten und Kurden gleich behandelt werden. Doch für viele sunnitische Iraker sind Ungleichheit und Repression schon so lange von den schiitischen Regierungsparteien geschürt worden, dass dem »neutralen« Premierminister nun wenig Vertrauen geschenkt wird. Haider Al-Abadi muss zuerst in ihrem Sinn liefern.

 

Das bedeutet konkret: Erstens, eine Auflösung der politisierten Kommission durchsetzen, die seit Jahren Ex-Mitgliedern von Saddam Husseins Baath-Partei de facto ein Berufsverbot auferlegt; zweitens, ein Ende der strikten Anti-Terror-Gesetze erreichen, die es den Sicherheitskräften ermöglicht, alle Sunniten unter Generalverdacht zu stellen und ihre Bürgerrechte zu ignorieren; drittens, die Finanzierung und militärische Eingliederung der sunnitischen Stammesverbände »Sawha« erwirken; viertens, die Beteiligung sunnitischer Politiker an der Macht und damit die Öffnung der zentral verwalteten Wirtschafts- und Finanzquellen herbeiführen.

 

Die schiitischen Milizführer erkennen Abadis Autorität nicht an

 

Von alldem ist die neue Regierung aber noch weit entfernt. Im Parlament hat bislang eine Ablehnungsfront aus schiitischen und kurdischen Abgeordneten aller Parteien den Versuch einer Überarbeitung der Anti-Terror-Gesetze abgewiesen. Die Arbeit der Ent-Baathifizierungs-Kommission wird weiterhin vom Parlament gebilligt. Etwas Bewegung konnte Abadi in den Streit um die Unterstützung sunnitischer Kämpfer bringen. So gab der Premier im April bekannt, dass er die »Hashd« für sunnitische Rekruten öffnen werde – eine Absicht, die sich allerdings nicht vollständig umsetzen lassen wird.

 

Denn die Volksmiliz steht zwar seit einem Kabinettsbeschluss vom April offiziell unter militärischer und fiskalischer Kontrolle Abadis, doch die Milizführer erkennen dessen Autorität nicht an. Dass Abadi diesen Streit über das Gewaltmonopol gewinnt, ist angesichts iranischer Gelder und Waffen, die den schiitischen Paramilitärs seit Jahren zufließen, mehr als zweifelhaft. Davon abgesehen gestaltet sich selbst die Lieferung von Kriegsmitteln an die bereits bestehenden sunnitischen »Sahwa«-Verbände überaus schwierig.

 

Trotz wiederholter Ankündigungen des Premiers wird die Hilfe für die letzten loyalen Sunniten im bürokratischen Klein-Klein Bagdads immer wieder verzögert. Einige Scheichs haben daraufhin im Juni sowohl im Iran als auch in Jordanien alternativ um direkte Waffenlieferungen für ihren Kampf gegen den IS gebeten. Da sich trotz Abadis gutem Willen in der Hauptstadt nichts bewegt, sprachen sich Anfang Mai schließlich die prominenten sunnitischen Politiker Athel Al-Nudschaifi und Rafi Al-Issawi für den Aufbau einer sunnitischen Autonomieregion nach dem Muster Kurdistans aus.

 

Alle sunnitischen Rekruten sollen nach ihrem Willen unter die Kontrolle dieser neuen Region kommen. In dem Konflikt um den künftigen militärischen und politischen Kurs hat der irakische Premierminister bislang schlechte Karten. Denn auf dem Schlachtfeld hat sich das Blatt nur einen Monat nach dem Erfolg in Tikrit wieder zu Gunsten des IS gewendet. Nach über einem Jahr zäher Kämpfe in den Vororten von Ramadi konnten die Dschihadisten am 15. Mai die Hauptstadt der Provinz Anbar einnehmen. Abadis Kritiker konnten dem Premier danach sofort vorwerfen, er habe den Erfolg in Tikrit mit Gebietsverlusten in Anbar bezahlt und dem IS die Tür nach Ramadi geöffnet. Zudem sahen sie in der Niederlage der irakischen Armee erneut die Unverzichtbarkeit der Milizen als schlagkräftige Verteidiger des neuen Iraks bestätigt.

 

Die fehlende militärische Koordination der Anbar-Offensive gefährdet auch Abadis politische Agenda

 

Wie sehr das Renommee der schiitischen Volksmiliz nach dem Fall Ramadis gestiegen ist, zeigt nicht zuletzt, dass nun auch einige sunnitische Stammeskämpfer vehement für den Einsatz der »Hashd« in ihrem Territorium plädieren – eine Verzweiflungsgeste, die einer Kampagne den Boden bereitet, die ganz leicht als schiitischer Feldzug gegen Anbar diffamiert werden kann.

 

Zudem übersehen Fürsprecher der Milizen, dass auch die »schlagkräftigen« Kämpfer von »Badr«, »Asaib Ahl al-Haq« oder »Kataib Hizbullah« es seit Monaten nicht vermocht haben, den IS aus der umkämpften Raffinerie Baiji in der Provinz Salahuddin hinauszuwerfen, oder vermehrte IS-Angriffe in ihrer Hochburg Diyala unter Kontrolle zu bekommen. Dennoch: Seit Juni bringen sich Verbände der Volksmiliz zum Angriff in Anbar in Stellung. Am 13. Juli gab die Militärführung in Bagdad schließlich offiziell bekannt, dass eine Großoffensive zur Rückeroberung von Anbar begonnen habe. Das zentrale Ziel sei die Befreiung der Provinzhauptstadt Ramadi.

 

Getragen werde die Offensive von Einheiten der irakischen Armee, unterstützt durch Luftangriffe der US-geführten internationalen Koalition. Dass die Volksmiliz ebenfalls eigene Angriffe in Anbar gestartet hatte, die sich nicht gegen Ramadi, sondern das gut 60 Kilometer östlich gelegene Falludscha richteten, ließ die Nachricht aus Bagdad unerwähnt. Wie stark die unterschiedlichen Verbände in der Offensive miteinander kooperieren werden, ob die Armee oder die »Hashd« am Ende das Kampagnenziel definieren, ist unklar. Angesichts der starken Befestigungen, die der IS in seinen beiden Hochburgen am Euphrat angelegt hat, könnte eine Teilung der Kräfte aber fatale Folgen haben.

 

Für Premierminister Abadi steht noch mehr auf dem Spiel als der Ausgang der jüngsten Offensive gegen den IS. Denn mit dem massiven Vorstoß der schiitischen Paramilitärs auf sunnitisches Gebiet droht auch seine politische Agenda zu scheitern, die doch auf eine Rehabilitierung und Wiedereingliederung der Sunniten als gleichberechtigte Staatsbürger hinauslaufen soll, nicht auf eine schiitische »Unterwerfung«. Die Übermacht schiitischer Hardliner im Parlament und die scheinbare Überlegenheit der »Hashd« gegenüber der Armee machen dieses Ziel jedoch immer weniger greifbar.

Von: 
Hauke Feickert

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