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Anti-Terror-Kampf in Somalia

Der somalische Patient

Feature

Seit zehn Jahren versuchen Truppen der Afrikanischen Union, die extremistischen Kräfte in Somalia zu zerschlagen. Anschläge der Al-Shabaab und interner Zwist lassen dieses Ziel in weite Ferne rücken. Doch noch ist nicht alles verloren.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten geprägt von Krieg und Terror hatten viele Beobachter Somalia bereits als den schlimmsten und gesetzlosesten Flecken Erde voller Elend und als Inbegriff eines »failed state« abgeschrieben. Die jüngsten Ereignisse, wie etwa der Angriff der Al-Qaida nahestehenden Terrorgruppe Al-Shabaab auf ein Hotel in Mogadischu Ende Januar, bei dem 15 Menschen starben oder der blutige Angriff auf die Militärbasis der Afrikanischen Union in El-Adde einige Tage zuvor, bei dem unbestätigten Angaben zufolge fast 200 kenianische Soldaten ihr Leben verloren, verstärken diesen Eindruck noch.

 

Doch während die Weltgemeinschaft zunehmend das Interesse am Horn von Afrika zu verlieren scheint und gebannt auf den Krisenherd Syrien blickt, regt sich etwas in Somalia. Der totgeglaubte Patient zuckt und regt sich; leise Hoffnung, aber auch alte Probleme prägen das Leben in Somalia. In Mogadischu, der gefürchteten Hauptstadt Somalias, die einst den Ruf als gefährlichste Stadt der Welt inne hatte, kommt es nach wie vor zu Schießereien, Entführungen und Bombenexplosionen.

 

Zu Beginn des neuen Jahres starben drei Menschen, als sich ein Selbstmordattentäter in einem Restaurant in die Luft sprengte. Doch verglichen mit den Zuständen vor einigen Jahren hat sich die Lage verbessert, ja fast stabilisiert. So drückt es jedenfalls Mustaf Mahat, ein Geschäftsmann aus Mogadischu, aus. Er ist einer von zahlreichen Somalis, die in den vergangenen Jahren aus der Diaspora nach Somalia zurückgekehrt sind, um dort zum Wiederaufbau beizutragen und dem Land ein Stück weit Normalität zurückzubringen.

 

Es herrscht spürbar Aufbruchsstimmung, und seitdem die Al-Shabaab von den Truppen der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) aus den meisten Städten vertrieben wurden, eröffnen vielerorts wieder Restaurants und Cafés, die unter dem strengen Diktat der Extremisten fast gänzlich verschwunden waren. Somalia sehnt sich nach Normalität, und die Bereitschaft, dabei kräftig anzupacken, ist groß.

 

Im Nachbarland Kenia ist die Stimmung unterdessen wieder einmal angespannt. Der Anschlag auf die Militärbasis in El-Adde am 15. Januar dieses Jahres weckt Erinnerungen an die Terroranschläge auf das Einkaufszentrum Westgate in Nairobi oder an das Blutbad an einer Universität in Garissa. In beiden Fällen hatten somalische Attentäter auf kenianischem Boden ohne Vorwarnung dutzende Menschen in den Tod gerissen.

 

Nun suchte der Terror kenianische Soldaten auf somalischem Boden heim – und das zu einem Zeitpunkt, als man euphorisiert durch die Übernahme der wichtigen Küstenstadt Kismayo und zahlreicher weiterer militärisch relevanter Kleinstädte bereits von einer Lähmung der Schlagkräftigkeit der Al-Shabaab sprach. Der Angriff in El-Adde zeigt Wirkung. Während die gefallenen Soldaten von ihren Familien betrauert und vom Rest des Landes als Helden verehrt werden und Präsident Kenyatta in einer kämpferischen Rede sein Land auf einen langen und beschwerlichen Krieg gegen den somalischen Terror einstimmt, den er mit aller Entschlossenheit weiterführen will, geht ein deutlich spürbarer Ruck durch die kenianische Gesellschaft.

 

Man hat den Eindruck, die Leidensfähigkeit in der Bevölkerung ist erschöpft. Immer öfter werden Forderungen laut, die Truppen nach Hause zu holen und Somalia sich selbst zu überlassen. Der kenianische Journalist Waga Odongo fasst zusammen, was viele im Land denken: »Al-Shabaab ist nun eine größere Bedrohung für uns als jemals zuvor. Truppen nach Somalia zu schicken, hat unser Land nicht sicherer gemacht.« Außerdem stößt das überaus üppige Budget für den aufgeblasenen Sicherheitsapparat des Landes auf immer mehr Kritik.

 

Viele Kenianer glauben inzwischen, dass die Anti-Terror-Politik der Regierung versagt hat und grundlegend überdacht werden muss. Auch die somalische Community in Kenias Hauptstadt Nairobi bekommt die Auswirkungen der Angriffe auf die Militärbasis in El-Adde zu spüren. Sie war wie schon nach den Angriffen auf das Einkaufszentrum Westgate 2013 wieder einmal die erste Gruppe, an der sich Wut und Frust der kenianischen Behörden entlud. Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen, Kontrollen und Repressalien, besonders im somalisch geprägten Viertel Eastleigh, machen das Leben für die dort wohnhaften Somalis nicht leichter.

 

Die Zweifel an der AMISOM-Mission mehren sich in den Staaten Ostafrikas

 

Und inzwischen finden auch viele kenianische Muslime keine freundlichen Worte mehr für ihre somalischen Glaubensgenossen. Kenianische Muslime, die überwiegend aus den Küstenregionen stammen, wo der arabisch-islamische Einfluss besonders stark ist, machen etwa zehn Prozent der Bevölkerung in der ehemaligen britischen Kolonie aus.

 

Eine von ihnen, Fatuma Abdallah (Name geändert), eine Händlerin aus Eastleigh, lässt kein gutes Haar an ihrer somalischen Nachbarn: »Ich mag die Somalis nicht. Ich habe auch keine somalischen Freunde, obwohl hier so viele Somalis leben. Sie sind gierig, frech,  grenzen sich immer ab und bringen unserem Land nur Probleme. Das Beste wäre, sie würden einfach von hier verschwinden.«

 

In Burundi, das mit fast fünfeinhalbtausend entsandten Soldaten das zweitstärkste Kontingent der Mission in Somalia stellt, wird bereits seit dem 26. Juni 2015 eine lebhafte Debatte über die Sinnhaftigkeit der AMISOM geführt. An jenem Tag starben 70 burundische Soldaten, als sie vor den Toren ihrer Militärbasis in Leego von hunderten Al-Shabaab-Kämpfern überrascht wurden. Der Angriff schien Ahmed Omar, seit 2014 Denker und Lenker der Al-Shabaab, ein ganz persönliches Anliegen gewesen zu sein, schließlich stammt er selbst aus der Region. Beobachter sehen darin auch den Grund für den Erfolg sowie die äußerst brutale Ausführung des Angriffs.

 

Auch in Uganda reagiert man sehr empfindlich auf jede Nachricht über in Somalia gefallene ugandische Soldaten. Nach fast sechs Jahren hat man die Anschläge von Kampala  mit 74 Toten noch lange nicht vergessen und ist hinsichtlich der militärischen Strategie in Somalia gespalten. Präsident Yoweri Museveni, der ungeachtet aller Kritik die Geschicke seines Landes seit nunmehr 30 Jahren ununterbrochen führt, hatte bereits während eines Staatsbesuches am 1. Juni 2015 in Kenia anlässlich der Feierlichkeiten zum »Madaraka Day«, Kenias Unabhängigkeitstag, von einer erfolgreichen Militäroperation der AMISOM in Somalia und einer Zersplitterung und Kampfunfähigkeit von Al-Shabaab gesprochen – und war damit augenscheinlich zu voreilig.

 

Die nächste humanitäre Katastrophe steht bereits vor der Tür

 

Selbst in Somalia bröckelt die Allianz gegen die Extremisten spürbar. Präsident Hassan Sheikh Mohamud muss sich derzeit dem Vorwurf der Veruntreuung von Staatsgeldern erwehren und ist damit scheinbar so beschäftigt, dass der Kampf gegen Al-Shabaab etwas zu kurz kommt. Gleichzeitig rekrutieren die Islamisten immer mehr Kinder und Jugendliche und machen damit ihrem Namen »Harakat Al-Shabaab Al-Mujahideen – Bewegung der Mujahideen-Jugend« alle Ehre.

 

Abseits der Hauptstadt verschwimmen unterdessen die Linien. Die schlagkräftige Ras-Kamboni-Miliz unter Führung von Ahmed Madobe, dem Verstrickungen in den Bombenangriff auf ein Hotel in Mombasa im Jahr 2010 nachgesagt werden, bei dem 13 Menschen starben, kämpfte lange Zeit an der Seite der Al-Shabaab. Doch dann wechselte Madobe die Seiten und unterstützte kenianische Truppen bei der Befreiung von Kismayo.

 

Heute regiert er dort weitgehend unabhängig und mit harter Hand, ohne dass die somalische Regierung ihn daran hindern würde. Die verschiedenen Clans des Landes, einzig im Kampf gegen Al-Shabaab vereint, verbindet außer einer tiefliegenden Feindschaft untereinander nicht viel – sie werden das Land nicht zusammenhalten können. Doch ein Blick auf das nach Unabhängigkeit strebende Somaliland macht Hoffnung. Dort hat sich abseits jeglichen medialen Interesses und ganz ohne die Intervention ausländischer Akteure inzwischen ein stabiles staatliches Gebilde entwickelt, das als Musterbeispiel für die Region dienen könnte.

 

Doch die seit 2005 angestrebte Anerkennung als eigenständiger Staat  durch die internationale Gemeinschaft ist bislang ausgeblieben – aus Angst, dies würde den Friedensprozess in Somalia gefährden. Vielleicht wäre es aber genau das, was die Region jetzt braucht. Zwar hat sich in den vergangenen Jahren viel getan am Horn von Afrika, doch solange mehr als die Hälfte des Landes noch unter der Kontrolle von Terroristen ist, eine nicht mehrheitsfähige Regierung sich mehr mit sich selbst als mit den Problemen des Landes beschäftigt und bei Schusswechseln und Sprengstoffangriffen Tag für Tag Menschen sterben, bleibt die Zukunft Somalias ungewiss.

 

Darüber hinaus kündigt sich in dem krisengeschüttelten Land bereits die nächste Katastrophe an: Laut UN sind aufgrund einer anhaltenden Dürre mehr als 250.000 Menschen akut vom Hungertod bedroht. Von Normalität und Stabilität kann also keine Rede sein. Der somalische Patient ist noch lange nicht tot. Doch ob und wann er sich soweit erholt, so dass eine Rückkehr für die weltweit in der Diaspora lebenden Somalis wieder erstrebenswert wird und die mehr als 700.000 in Flüchtlingslagern lebenden Menschen wieder nach Hause zurückkehren können, steht noch in den Sternen.

Von: 
Nicolai Klotz

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