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Anti-Piraterie-Mission »Atalanta« am Horn von Afrika

»Wir haben von robusteren Einsatzregeln profitiert«

Interview

Bis Ende 2011 leitete er die Anti-Piraterie-Mission »Atalanta« am Horn von Afrika. Ein Gespräch mit Flottillenadmiral Thomas Jugel über den schwindenden Erfolg der Seeräuber und warum somalischen Piraten in Hamburg der Prozess gemacht wird.

zenith: Herr Jugel, wie fühlt es sich an, nach vier Monaten auf See, die Kommandobrücke wieder gegen den Schreibtisch einzutauschen?

Jugel: Da sind die Gefühle natürlich zweigeteilt. Zum einen bin ich zur Marine gegangen, um zur See zu fahren, und es hat große Freude gemacht, dort im Einsatz etwas Vernünftiges leisten zu können. Auf der anderen Seite bin ich froh, dass ich nun die Fäden als Flottillenkommandeur wieder aufnehmen kann.

 

Sie vermissen Somalia?

Das kann man zu einem gewissen Teil sagen, zumal unser Einsatz erfolgreich war. Die Erfolgsrate der Piraten ist drastisch gesunken. Das sind nicht nur wir alleine gewesen, das waren sicher auch private Sicherheitsdienste und der Umstand, dass sich Handelsschiffe besser an die Empfehlungen der EU halten – zentral sind hier die »Best Management Practices«. (Das BMP 4-Programm umfasst Selbstschutzanweisungen für Schiffe am Horn von Afrika, d. Red.)


Thomas Jugel

 

 

trat 1977 in die Bundeswehr beziehungsweise in die Marine ein. Sein erstes Kommando war von 1985 bis 1987 das Minensuchboot »Pluto«. Im April 2010 wurde Jugel zum Kommandeur der Einsatzflottille 1 in Kiel berufen. Von August bis einschließlich Dezember 2011 war der heute 54-Jährige zugleich »Force Commander EUNAVFOR ATALANTA«.

 

 
Bekommen Sie mit Blick auf den Einsatz privater Sicherheitsdienste auf Frachtschiffen in Ihrem Einsatzgebiet keine Bauchschmerzen?
Nur insofern, als dass immer die Gefahr einer Eskalation besteht. Wir dürfen nicht jeden Dienstleister befürworten. Stattdessen habe ich immer dafür plädiert, dass man diese Teams nicht nur gut ausgebildet, sondern auch zertifiziert.
 
Also die Zusammenarbeiten zwischen privaten Sicherheitsdiensten und Streitkräften so eng wie möglich zu halten ...

Ja, wenn sich diese privaten Schutzteams dann ähnlich verhalten wie die militärischen, die wir Vessel Protection Detachment (VPD) nennen. Nur haben wir nicht genug davon. Deshalb sind die Privaten aus meiner Sicht eine willkommene Ergänzung. Wir hatten das Problem, dass wir die medizinischen Standards für unsere Soldaten an Bord von Frachtschiffen nicht sicherstellen konnten, die VPDs also immer eine Fregatte in geringer Distanz gebunden haben. Mit dieser Herausforderung sahen sich alle eingesetzten Nationen konfrontiert. Die EU verfolgt jetzt den autonomeren Einsatz der VPDs.

 

General Hakan Syren, Vorsitzender des EU-Militärausschusses, hat auch bestätigt, die Kräfte nicht ausreichen, um das »Atalanta«-Mandat zu erfüllen. Er warnte, dass zwischen November und März nicht genügend Schiffe vor Ort sind, um die Sicherheit passierender Frachter zu garantieren.

Das ist einfach ein Mengenproblem. Wenn Sie sehen, dass jedes Jahr im Schnitt 25.000 Schiffsbewegungen im Golf von Aden stattfinden, dazu noch die Schiffe, die sich im Indischen Ozean oder der Straße von Madagaskar bewegen, sind das einfach Größenordnungen, die wir weder  militärisch noch privat abdecken können. Wir müssen Schwerpunkte setzen und das Beste daraus machen. Wir kooperieren eng mit den Reedereien, aber ein Restrisiko ist unvermeidbar. Und es ist korrekt, dass wir seit Ende November nicht die Zahl an Einheiten im Einsatzgebiet hatten, die unsere Operationsplanungen erfordert hätten. Die Hungersnot in der Region bedeutet einen deutlichen Anstieg an Hilfslieferungen, die wiederum unsere Kräfte als Geleitschutz binden. Dass sich dieser Umstand nicht auf die Anzahl der eingesetzten Kriegsschiffe auswirkt, ist sicherlich eine Kostenfrage. Im vergangenen Jahr gab es zudem den Einsatz vor Libyen. Da lag schlicht eine Konkurrenz vor. Wir leben in Zeiten der Finanzkrise, wo sich Staaten nicht mehr das leisten  wollen, was sie sich in sicherheitspolitischer Hinsicht vielleicht leisten müssten.

 

Welche Rolle hat wirtschaftlicher Druck bei der ursprünglichen Formulierung des Mandats für »Atalanta« gespielt? Betrachtet man das Sinken der Versicherungsprämien seitdem, hat sich der Einsatz ja in barer Münze ausgezahlt.

Der Kerngedanke war und ist nicht, die Piraterie zu unterbinden, sondern die Lieferung von Hilfsgütern nach Somalia zu garantieren. Und dieses Ziel haben wir seitdem zu 100 Prozent erreicht. Was wir darüber hinaus an Kapazitäten frei haben, fließt in den Kampf gegen Piraten. Dass die Reedereien davon profitieren, ist natürlich auch in unserem Sinne, aber nicht unser Hauptmotiv. Und wir müssen hier zwischen der Nato, die im Hauptauftrag gegen Schiffsentführungen vorgeht, und der EU-Mission unterscheiden, die in erster Linie humanitäre Hilfslieferungen beschützt.

 

Trotzdem hat sich das faktische »Atalanta«-Operationsgebiet verglichen mit früheren Jahren deutlich ausgeweitet. Sie operieren nun nicht mehr ausschließlich vor der somalischen Küste, sondern auch vor Oman und Iran. Stellt das ein Problem dar mit Blick auf die gespannten Beziehungen zum Iran?

Da sehe ich kein Problem. Wir wissen ja, dass die Iraner die Piraterie ebenfalls bekämpfen und dort regelmäßig Einheiten im Einsatz haben. Obwohl sie mit Blick auf die Piraterie ähnliche Ziele verfolgen, gibt es keine Zusammenarbeit. Viele Staaten haben nationale Anti-Piraterie-Missionen am Horn von Afrika, und auf unterschiedlichen Stufen arbeiten wir mit diesen zusammen. Mit den Chinesen und Russen stimmen wir uns beispielsweise sehr eng ab.

 

»Die Privaten sind eine willkommene Ergänzung«

 

Auch mit dem Oman befindet sich die EU gerade in Verhandlungen über die Stationierung von Aufklärungsflugzeugen. Konnten Sie bereits eine Einigung erzielen?

 

Unser Problem ist, dass wir von Dschibuti, Kenia oder von den Seychellen aus das Einsatzgebiet nicht vollständig abdecken können – das liegt schlicht an der begrenzten Reichweite der Seefernaufklärer. Ich hielte es für sehr zweckmäßig, wenn wir hier neben der Unterstützung durch die amerikanisch geführten »Combined Maritime Forces« in Bahrain auch von Oman aus operieren könnten. Aktuell ist der Oman relativ zurückhaltend, was sein Engagement gegen Piraterie betrifft. Dass im vergangenen Jahr jedoch der Tanker »Fairchem Bogey« innerhalb seiner Hoheitsgewässer von Piraten angegriffen wurde, führt hoffentlich zu einem Umdenken. Ich bin daher relativ optimistisch, was eine Einigung betrifft.

 

Eine deutliche Überarbeitung könnten die »Rules of Engagement« in diesem Jahr erhalten. Die EU diskutiert, künftig auch an Land gegen Piraten vorzugehen. Amerikanische Spezialeinheiten machen das bereits seit einiger Zeit. Haben Sie sich diese Kompetenz bereits während Ihres Einsatzes gewünscht?

Das derzeitige Mandat deckt ein Vorgehen an Land, in welcher Form auch immer, nicht. Sobald »der Fuß trocken« wird, endet unsere Kompetenz. Von den robusteren Einsatzregeln, die sich die EU im Mai 2011 gegeben hat, haben wir auf jeden Fall schon profitieren können. Was beispielsweise das Zerstören Piratenschiffen ermöglichte, die an der Küste ankern. Ich kann die Einsatzregeln hier nicht im Detail erläutern. Sie konnten aber der Presse entnehmen, dass auch Skiffs, die sich im Schlepp von Dhaus oder Walfangschiffen befanden, nun ohne weitere Vorwarnung zerstört wurden. Könnten wir demnächst außerdem am Strand operieren, würde das die Optionen des militärischen Befehlshabers vor Ort erweitern. Das Problem Piraterie würden wir dadurch nicht lösen, könnten aber zum Beispiel flexibler gegen sogenannte Gelegenheitsziele vorgehen. Ich persönlich würde den Schritt grundsätzlich begrüßen, es würde die Mission aber meines Erachtens auch nicht zum Scheitern bringen, würde ein solcher Schritt – aus welchen Gründen auch immer – nicht vertretbar sein.

 

Bis heute konnte für den Umgang mit festgesetzten Piraten keine befriedigende Lösung gefunden werden. In Hamburg vor dem Landgericht läuft gerade ein Prozess gegen mutmaßliche Kaperer. Kenia, das sich bis Ende 2010 bereit erklärt hatte, Piraten für die strafrechtliche Verfolgung aufzunehmen, hat die Prozesse aber auf Eis gelegt. Wie kann die Justiz dem Problem Herr werden?

Zunächst einmal ist es äußerst frustrierend, wenn man mutmaßliche Piraten wieder an Land absetzen muss. Wir mussten während der Zeit meines Kommandos 54 festgesetzte Piraten zur somalischen Küste zurückbringen. Das liegt aber nicht nur an Kenia oder anderen Ländern der Region. Wir haben die von Ihnen angesprochenen Staaten erst gar nicht gefragt, weil uns bewusst war, dass die vorhandene Beweiskette nicht für eine Strafverfolgung und Verurteilung ausreichen würde. Die meisten Handelsschiffe nehmen keine detaillierte Dokumentation der Angriffe vor, die Besatzungen haben im Fall eines laufenden Piratenangriffs wirklich andere Sorgen. In den wenigen Fällen, in denen wir glauben, über ausreichend Beweise zu verfügen, schieben wir solche Prozesse auch an – wie man aktuell in Hamburg sehen kann.

 

»Auf See bekämpfen wir nur Symptome«

 

In diesem konkreten Fall beklagte die Verteidigung, dass Zeugen nicht aus Somalia eingeflogen würden, ihre Mandanten kein Unrechtsbewusstsein besäßen. Gleicht der Prozess nicht einer Farce?

Wir sind da natürlich an die Menschenrechtsstandards und rechtsstaatliche Bedingungen gebunden. Gleich, ob der Prozess in Kenia oder Deutschland stattfindet, es gelten die EU-Menschenrechtsstandards. Mir, als operativem Kommandeur der Operation, war es wichtig, dass Piraten, sofern wir ihnen eine Straftat nachweisen konnten, ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Mein Mitgefühl mit Piraten ist relativ begrenzt.

 

Haben Sie über die vergangenen Monate Auswirkungen der instabilen Sicherheitslage im Jemen beobachten können? Gibt es dort Piraterie?

Nein, die Jemeniten haben sich nicht originär als Piraten erwiesen, wobei die Übergänge auch hier fließend sind. Sollten Somalier eine jemenitische Dhau kapern, wird die Besatzung oft unter Druck gesetzt und kooperiert dann nolens volens.

 

Betrachtet man die aktuelle Entwicklung des somalischen Bürgerkrieges, könnte in einigen Jahren nicht mehr das Horn von Afrika, sondern beispielsweise Indonesien Hotspot der Piraterie sein?

Dass das Piraterieproblem am Horn von Afrika in Kürze gelöst sein kann, wäre eine sehr optimistische Sichtweise. Inzwischen gibt ja jeder zu, dass wir auf See nur Symptome bekämpfen. Zuerst müssen in Somalia, also an Land, funktionierende Strukturen geschaffen werden, um Piraterie zu unterbinden, wofür in erster Linie keine Soldaten, sondern zivile Experten benötigt werden. Es finden ja bereits heute Gespräche mit Verantwortlichen auch aus Somaliland und Puntland statt. Die Bemühungen der EU, Sicherheitskräfte und Küstenwachen vor Ort auszubilden, müssen anhalten.

Von: 
Nils Metzger

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