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Algerien, Zentralfrikanische Republik, Ägypten, Indonesien

Hilfsbedürftige Massenmörder, tödliche Fußballfreude und türkische Kurdenliebe

Feature

Was war diese Woche los? Was wurde nicht geschrieben, sollte aber berichtet werden? Jeden Freitag stellt die zenith-Redaktion diese Fragen – fünf Meldungen der Woche, heute: von Algerien bis zur Zentralfrikanischen Republik.

Algerischer Ausnahmezustand: WM-Qualifikation fordert Leben

 

Zum vierten Mal wird Algerien 2014 also an einer Fußball-Weltmeisterschaft teilnehmen. Das nordafrikanische Team hat sich im entscheidenden Spiel gegen Burkina Faso behauptet und darf als einzige arabische Mannschaft nach seinem 1:0-Erfolg nach Brasilien fahren. In der aufgeheizten Stimmung kam es in der Stadt Toga zu mehreren Verkehrsunfällen – vier Menschen starben, mehrere wurden verletzt. Landesweit sprechen algerische Medien von insgesamt 12 Toten.

 

Auch in Frankreich, der ehemaligen Kolonialmacht, begleiteten Ausschreitungen den Erfolg der »Fennecs«. In Marseille wurden drei Polizisten verletzt, als die Fans der algerischen Mannschaft einen Weihnachtsmarkt abbauten. Auch in anderen französischen Städten wurden Fußballfans festgenommen. Schon Stunden vor Spielbeginn waren 50.000 Zuschauer ins Mustapha-Tchaker-Stadion in die Stadt Blida im Norden Algeriens gekommen, um das Qualifikationsspiel zu verfolgen. Etwa 40 Anhänger wurden bereits im Gedränge leicht verletzt.

 

Saudische »Säuberung«: Scheichs schieben Einwanderer ab

 

Brutal gingen die saudischen Behörden gegen illegale Einwanderer im wahhabitischen Königreich vor. Im Zuge einer konzertierten Razzia wurden tausende Ausländer festgehalten und abgeschoben. Bei den gewaltsamen Zusammenstößen kamen mehrere Menschen ums Leben. Vorangegangen war ein Ultimatum: Mehrere Monate wurden den Migranten ohne gültiges Visum gewährt, um einen legalen Status zu erreichen oder auszureisen. Etwa vier Millionen Menschen schafften es, ein Aufenthaltsgenehmigung zu ergattern, eine Million, darunter die meisten Asiaten, reisten aus. Der Rest fiel nun dem saudischen Sicherheitsapparat zum Opfer: Razzien auf den Arbeitsplätzen standen die gesamte Woche über auf der Tagesordnung.

 

Der Umgang mit Gastarbeitern ist ein verbreitetes Problem am Golf: Zuletzt geriet Katar massiv in die internationale Kritik. Die ausländischen Arbeitskräfte sehen sich in hohem Maße nicht nur Ausbeutung ausgesetzt, sondern auch rassistischen Ressentiments.

 

Türkische Taktik: Erdogan hofiert Barzani

 

Ein kluger Schachzug von Erdogan? In Diyarbakir im Südosten der Türkei traf sich der Premier mit Masud Barzani, Präsident der Autonomen Region Kurdistan (KRG) im Nordirak. Die Stadt gilt kurdischen Nationalisten als heimliche Hauptstadt eines künftig erhofften »Groß-Kurdistans«, der türkische Premier sprach von der Stadt als »Sinnbild für die Brüderlichkeit«. Erdogan ließ sich in seiner Rede ohnehin nicht lumpen: Von »türkisch-kurdischer Schicksalsgemeinschaft bis in den Tod« war da beispielsweise die Rede.

 

Vor tausenden Kurden wurde die Zusammenarbeit zwischen der KRG und der Türkei beschworen. Ein weiterer Schritt auf dem langwierigen Weg in den Frieden zwischen Kurden und Türken? Die PKK ist alles andere als erfreut über das pathetisch anmutende Treffen: Sie sieht ihren inhaftierten Führer Abdullah Öcalan im türkisch-kurdischen Friedensprozess immer weiter in die Belanglosigkeit abgleiten. Seine Anhängerschaft jedoch ist ungebrochen groß, vor allem in den unteren Schichten. Die sehen den Vorstoß Erdogans als Versuch, Barzani vorsorglich zum Präsidenten der Kurden im Nahen Osten aufzubauen.

 

Australische Abhörer: »Handygate« erreicht Indonesien

 

Edward Snowdens Enthüllungen machen auch vor Südostasien keinen Halt: In dieser Woche empörte sich Indonesien über einen Abhörskandal. Wieder ist es ein bespitzeltes Handy, das für die Aufregung sorgt. Es gehört Susilo Bambang Yudhoyono, dem Präsidenten des Inselreichs. Der australische Geheimdienst soll seine Telefongespräche abgehört haben. Auch die First Lady Indonesiens soll der nachbarschaftlichen Neugierde zum Opfer gefallen sein.

 

Die australische Rundfunkanstalt ABC und der britische Guardian hatten über den Skandal berichtet. In Indonesien lösten die Informationen große Verärgerung aus, Medien prophezeiten bereits eine Eiszeit der diplomatischen Beziehungen. Am Donnerstag marschierten etwa 200 Menschen vor die australische Botschaft in Jakarta und demonstrierten gegen den Lauschangriff. Sie forderten eine Entschuldigung der Australier. Auf einem Protestplakat stand sogar: »Wir sind bereit für den Krieg gegen Australien«, berichtete Al-Jazeera. In der indonesischen Stadt Yogyakarta brannten bei Protesten australische Flaggen.

 

Zuflucht in Zentralafrika: Will Kony sich ergeben?

 

Der international gesuchte ugandische Rebellenführer Joseph Kony sucht nach Angaben des Sonderbeauftragten der Afrikanischen Union (AU) für die Zentralafrikanische Republik, Francisco Madeira, Zuflucht in der Mitte Afrikas. Der Putschpräsident der Zentralafrikanischen Republik, Michel Djotodia, habe Kontakt zu Kony und verhandle mit ihm über ein Ende der Gewalt der »Lord's Resistance Army« (LRA), wie sich die ugandischen Rebellen nennen, berichtete Madeira am Mittwochabend im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

 

Djotodia bestätigte dies: »Es ist wahr, Joseph Kony will aus dem Busch herauskommen«, sagte der dem britischen Guardian. Er verhandle mit ihm. LRA-Experten im U.S. State Department warnen davor, den Aussagen Glauben zu schenken. Sie halten es für wahrscheinlicher, dass Djotodia mit einer Splittergruppe der Rebellen in Kontakt stehe, denen Kony nicht angehöre. Djotodia verfolge wahrscheinlich seine eigenen Ziele: LRA-Milizen als rivalisierende Gruppe in der Region loszuwerden.

 

Djotodia seinerseits steht selbst massiv unter Druck: Sowohl die französische als auch die amerikanische Regierung sehen die Zentralafrikanische Republik zehn Monate nach der blutigen Machtergreifung durch die Putschisten »am Rande eines Völkermords«. Ob wahr oder nicht – mit Joseph Kony als Gefährten schmückt sich auch ein Putschistenführer eher unklug: Der christliche Fundamentalist wird mit seiner LRA für mehr als 100.000 Morde verantwortlich gemacht, seit er der ugandischen Regierung vor 25 Jahren den Kampf ansagte.

 

60.000 bis 100.000 Kinder sollen von ihnen verschleppt und wie Sklaven gehalten worden seien – man hatte sie zum Kämpfen gezwungen. Kony begründete seinen Kampf einst damit, einen Staat schaffen zu wollen, der auf den biblischen zehn Geboten beruhe.

Von: 
Kristina Milz

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